Wenn eine Band ne Reise tut...
Tag 1 – Ausfallen, Auftreten, Ankommen
Manche Reisen beginnen im Morgengrauen – und mit einer Portion Abenteuerlust. So auch unsere Fahrt nach Berlin: am 6. Juli um 5:48 Uhr machte sich unsere Jazzband auf den Weg in die Hauptstadt. Das Bandequipment wurde tags zuvor tetrismäßig gut in Herrn Werners Begleitfahrzeug verstaut, so dass es uns möglich war, ohne zu großes Gepäck in den Zug zu steigen. Die Fahrt verlief zunächst reibungslos und dank der reservierten Sitzplätze richtig angenehm. Doch kurz vor dem Ziel wich uns die Farbe aus dem Gesicht, als die Durchsage kam, der Zug werde anderswo gebraucht und müsse jetzt geleert werden. Da wir bereits eine knappe Stunde Verspätung hatten, kamen wir langsam in Zeitnot, um noch rechtzeitig zu unserem ersten Auftritt in das Freiluftkino Kreuzberg zu kommen. Gerade im richtigen Moment entdeckten wir eine Regionalbahn am Gleis gegenüber, die uns zum ersehnten Hauptbahnhof fahren sollte. Mit unseren staplerischen Fähigkeiten, die wir hier erneut unter Beweis stellen durften, quetschten wir uns in den bereits gut gefüllten Innenraum, immer mit Adlerauge darauf bedacht, keinen der 17 jungen Menschen am Gleis zurückzulassen.
Wir – das sind übrigens Joachim Kocsis, Julia Strasser und Thomas Werner, die zusammen mit Anja Necker (Schülermutter aus der großen WeG-Familie) die Fahrt als Erwachsenenteam begleiteten. Als aber auch das geschafft war, stand unserem Gig in Kreuzberg nichts mehr im Weg. Der erste Auftritt fand im Rahmen des „Big Band Meetings“ der Berliner Schulen statt, bei dem wir neben 7 weiteren Bands als Gast mitwirkten. Unter freiem Himmel, umgeben von Mauern mit Geschichte und einem Publikum, das ebenso neugierig wie offen war, spielten wir uns konzentriert und souverän durch unser Programm.
Zufriedene Gesichter, Applaus, Gespräche im Nachhall – ein gelungener Auftakt. Müde, aber erfüllt erreichten wir später unser Hostel. Es war ein lang ersehnter Moment: die Instrumente endlich abstellen, die Schuhe ausziehen und so langsam voll und ganz in Berlin ankommen.
Tag 2 – Wege, Wimmeln, Werkstattkonzert
Der zweite Tag begann mit einem Blick in die Geschichte. Im Deutschen Historischen Museum nahmen wir an einer eindrucksvollen Führung durch die Ausstellung „Roads not taken“ teil. Sie zeigte mögliche, nicht gegangene Pfade deutscher Geschichte – und stellte dabei die real passierten Geschehnisse mit Fotos und Berichten gegenüber, die genauso hätten eintreten können, wenn das Schicksal ein wenig anders gelenkt worden wäre.
Mit viel Gesprächsstoff im Gepäck zog es uns anschließend zum Alexanderplatz, wo zwischen Menschenströmen und Straßengeräuschen etwas Zeit für Pause blieb. Am Abend kamen wir dann spontan – mehr wird nicht verraten – zu einem Werkstattkonzert in der Kunstfabrik Schlot. Der Jazzclub bot an diesem Abend das Abschlusskonzert Berliner Schulmusikstudenten, die ihre Songs aus dem Bereich Komponieren/Arrangieren vorstellten. Nachdem wir dort genügend Eindrücke gesammelt hatten, zog es uns weiter an die Spree, um den Abendhimmel zu genießen.
Tag 3 – Klang, Klartext, Kontrolle
An unserem dritten Tag begrüßte uns der Berliner Morgen mit Sonnenschein – und ein Steglitzer Marktplatz mit offenen Herzen. Mit guter Laune gratulierten wir unserem Linus, der heute 15 Jahre alt wurde, zum Geburtstag und fuhren nach dem Frühstück nach Steglitz, um an einem akustisch idealen Flecken unser Set aufzubauen. Charmant moderiert vom Bandleader Joachim Kocsis, lockte unsere beiden Marktplatzkonzerte einige neugierige und musikbegeisterte Passanten an. Sie ließen die Einkaufstaschen ruhen, teilten die Musik mit uns, tanzten und sangen mit und ließen uns durch ihren Applaus wissen, wie toll sie es finden, hier eine so engagierte Schülerband zu haben. Die verspiegelte Scheibe einer hohen Gedenktafel hinter uns, ließ unseren Klang groß und lebendig werden, so dass es allen wirklich Spaß machte, zu spielen.
Nach einer Stärkung wechselten wir den Schauplatz vom Markt ins Machtzentrum. Im Deutschen Bundestag erwartete uns ein Gespräch mit Roderich Kiesewetter, der offen und reflektiert von seiner politischen Arbeit berichtete. Es war ein Dialog auf Augenhöhe, klug, differenziert und mit viel Raum für unsere Fragen.
Am Abend schloss sich passend an das vorhergehende Programm ein politisches Stück an: eine bedrückend aktuelle Adaption von Orwells Klassiker „1984“. Die düstere Atmosphäre im Berliner Ensemble, die schnarrende Sprache, die beklemmende Enge auf der Bühne, in die die Figuren durch den inszenierten Kontrollstaat oft gedrängt werden, beeindruckten uns nachhaltig.
Tag 4 – Schiff, Schleuse, Schritte
Der letzte Tag vor unserer Abreise sollte noch mit weiteren Eindrücken der Stadt gefüllt werden. Dazu eignet sich eine Schiffsfahrt auf der Spree besonders. Über den fein schwankenden Wellen schipperten wir eine Stunde lang dahin und passierten allerhand Sehenswürdigkeiten, die in kurzen Texten vorgestellt wurden.
Am Nachmittag wartete ein weiterer Auftritt auf uns. Der Biergarten „Schleusenkrug“ am Tiergarten bot uns die Möglichkeit, erneut vor Publikum spielen zu dürfen. Zu „Don’t stop believing“, „Thrift shop“, „September“ oder „Hallelujah, I love her so“ klatschten die Leute gerne mit und gaben sogar ein paar spontane Tanzeinlagen zum Besten. Der begeisterte Biergartenbetreiber gab uns daraufhin ein Getränk aus und wir freuten uns außerdem auf die berühmte Berliner Currywurst, ein riesiges Schnitzel oder wunderbare Flammkuchen.
Um den Tag abzurunden, machten wir einen Spaziergang über die Gedächtniskirche zum KaDeWe und flanierten staunend bis kopfschüttelnd durch die vollgepackten Regale und teuren Markenläden.
Eine letzte Fahrt in U- und S-Bahn zeigte uns noch ein paar Ecken Berlins, die wir noch nicht gesehen hatten, weil unseren müden Füßen, die schon so viel gelaufen waren, einfach nicht mehr zuzumuten war. Bettschwer kamen wir in unserem Hostel an und beschlossen den Abend mit Gesprächen und Geschichten aus vergangenen Fahrten…
Tag 5 – Hektik, Hauptstadt, Heimat
Alles lief problemlos – unsere Gruppe war pünktlich wach, räumte die Zimmer vorbildlich aus, gaben die Zimmerkarten ab und warteten mit genügend Vorlauf am korrekten Gleis auf unseren ICE. Hektisch wurde es erst als die Deutsche Bahn 5 Minuten vor Abfahrt preisgab, dass dieser heute von Gleis 3, statt Gleis 7 starten würde. Zwischen einer Unmenge anderer Mitfahrer wanderten wir zielstrebig zum Zug und waren froh, niemanden in dem kurzen Chaos verloren zu haben. Wir verließen die Hauptstadt nur ungern, weil es noch so viel zu entdecken gegeben hätte. Aber sicher war das nicht unsere letzte Reise nach Berlin… Zuhause angekommen, blieb nur noch uns herzlich voneinander zu verabschieden und am Werkgymnasium den Transporter auszuladen. Obwohl die Jazzband ganz unterschiedliche Altersstufen vereint, verstehen sich alle total gut und genossen die gemeinsame Zeit sehr!
Als Fazit bleibt: Berlin – ick liebe dir! Aber Jazzband, Dich lieb ich noch mehr!
Julia Strasser